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Lasst die Menschen traurig sein! Oder: Die Kunst nicht zu trösten.

  • Autorenbild: Valeria Bisaccia
    Valeria Bisaccia
  • 11. Juni
  • 2 Min. Lesezeit

Melancholie und Weltschmerz waren irgendwie immer schon Teil von mir. Aber was Trauer ist, war mir fast 26 Jahre nicht bewusst. Ich lernte die Trauer mit einem Schlag kennen - an dem Tag, an dem mir völlig unerwartet mitgeteilt wurde, dass mein Sohn sterben wird.


Er lebte zu dem Zeitpunkt noch, aber ich bin an diesem Tag zum ersten Mal gestorben.


Danach noch ein paar mal mehr.


Und ich lernte die Trauer kennen.

Und ich lernte das Trösten kennen. Bzw. die Tröstversuche.

Die fiesen, stechenden, pieksenden, beengenden Tröst-Kanonen. Meine Güte, wie viele Leute wollten mich trösten! Sie meinten es gut... und machten es schlecht.


Bitte lasst den Menschen doch ihre Trauer! Lasst sie um Himmels Willen traurig sein! Die Trauer will nicht getröstet werden. Sie kann nicht getröstet werden. Trauer ist eine physiologische Reaktion auf Verlust und Traurigkeit ist ein Gefühl, nicht schlechter und nicht besser als jedes andere. Und Trauer ist viel mehr als Traurigkeit.

Gefühle wollen immer gefühlt werden, erlebt werden.


,,Was abgespalten und nicht gefühlt wird, bleibt gleich. Wenn es gefühlt wird, ändert es sich. (...)" - Eugene Gendlin

Was machen diese ,,tröstenden" Sätze, wie ,,Zeit heilt alle Wunden" und ,,Zumindest wirst du schnell schwanger" eigentlich? Sie sagen mir: ,,Hör auf traurig zu sein, lass das -sofort! Du hast kein Recht dazu, weil es ist gar nicht so schlimm, wie du tust." Aber weil ich zu dem Zeitpunkt einfach nur traurig war und sonst nichts und weil es wirklich und tatsächlich genauso schlimm für mich war, wie es eben war, sagten die Sätze eigentlich: ,,Hör auf zu sein." So fühlte es sich an. Und es machte mein Kind ganz klein, unsere Geschichte unbedeutend.


Wie schaffe ich es denn also eine geliebte Person nicht zu trösten? Ich will doch etwas tun, damit es ihr besser geht.


Lektion 1:

Befreie dich erstmal von dem Gedanken, positiv sein zu müssen. Weil hier & jetzt & gerade gibt es vielleicht wirklich nichts Positives (noch nicht und vielleicht noch sehr, sehr lange nicht und vielleicht genau an diesem Ort niemals).


Lektion 2:

Befreie dich, von dem Druck, schaffen zu müssen, dass es deinem Gegenüber besser geht. Denn dann geht's ihm schlechter. Hör einfach zu. Zeig deine Betroffenheit, stelle einfühlsame Fragen.

Ein Tipp von der Autorin Megan Devine: Wenn du an den Satz STUMM dran hängen kannst , ,,deshalb hör auf so traurig zu sein", dann war es ein blöder, tröstender Satz. z.B. ,,Du bist noch jung und kannst nochmal schwanger werden (deshalb hör auf so traurig zu sein!)."

Lektion 3:

Erlaube dir dein Unwissen. Du kannst und musst dich nicht in eine trauernde Person hinein versetzen. Es reicht, wenn du DA bist. Ohne Ratschläge, ohne Trösten, ohne kluge Worte. Bleib stattdessen achtsam-neugierig und helfe deiner trauernden Person, in ihre Trauer einzutauchen und der Trauer liebevoll Raum zu schaffen und sie kennenzulernen. Hab keine Angst vor der Trauer. In ihr steckt Liebe!

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